Der Blick aus dem Fenster

Wie hypnotisiert schaute Viktoria auf den drehenden Kreis auf ihrem Bildschirm. Bereits seit einer Viertelstunde arbeitete nur das Windows-Update und nicht sie im Home-Office. Ernüchternd lehnte sie sich im ergonomischen Bürostuhl zurück und ließ den Blick etwas schweifen. Noch war sie mit ihrem Arbeitszimmer nicht zufrieden, aber im Gegensatz zum Haus störte sie hier nichts und vor allem ihr Lesesessel am Fenster hatte hier einen guten Platz.

Ein wenig fremdelte sie noch mit ihrer neuen Situation, und das aufkommende Heimweh versuchte sie in Gedanken schnell wieder zu unterdrücken. Sie hatte es schließlich nicht anders gewollt. Sie wollte einen Mann, der Karriere machte und einen Plan für das Leben hatte, und als David das Angebot bekam, war sie die treibende Kraft am Umzug in die neue Stadt. Bei welchem Arbeitgeber bekommt man heute schon ein Reihenhaus zum Wohnen gestellt? Ihr Chef geizte schon bei einem Obstteller und ließ Viktoria nur ins Home-Office, weil sie wirklich unverzichtbar war. Auf dem Handy ploppte eine Nachricht von David auf. Er würde sich heute verspäten, sie solle ohne ihn Essen und den Abend verbringen.

Diese bittere Pille schluckte Viktoria diese Woche nicht das erste Mal. Seit dem Umzug war David kaum noch zu Hause. Ein echtes Eheleben oder intime Zweisamkeit suchte Viktoria gerade vergebens. Es war das erste Mal in vier Jahren Ehe und sieben Jahren Beziehung, dass sie sich nach etwas mehr sehnte und sich in ihr Lust aufbaute und staute. Normalerweise war David unersättlich gewesen und nie musste Viktoria sich selbst um ihre Befriedigung bemühen. So erwischte sie sich immer häufiger selbst in Tagträumen und kleineren Fantasien. Sie musste dafür gar nicht eines ihrer romantischen Bücher zur Hand nehmen, es passierte vollkommen von selbst und zum Teil erkannte sie sich selbst nicht mehr wieder.

„Eine prüde Spießerin“ hatte sie einst einmal ein Ex-Freund genannt und sie damit leider ziemlich treffend beschrieben. Erst mit David ließ sie überhaupt einmal das Licht an oder traute sich mehr zu. Das war aber nichts im Vergleich zu den Gedanken, die sie in letzter Zeit umtrieben. In ihren Fantasien taten sie es an den unterschiedlichsten Orten und sie bestimmte, was passierte und wie es zur Sache ging. Vor gut zwei Wochen war es dann zum ersten Mal aus ihr herausgebrochen und so richtig konnte sie es danach nicht fassen.

Nach der Arbeit klingelte Davids Handy und um Viktoria nicht zu stören, zog er sich in ihr Büro zurück. Dabei hatte sie bereits Stunden sehnsüchtig auf ihn gewartet. Nach einer halben Stunde riss endgültig ihre Geduld und ihre Zurückhaltung ließ sie genauso wie ihre Klamotten im Wohnzimmer. Mit großen Augen schaute sie David an, als sie nackt im Türrahmen stand. Sein Telefonat mit einem Kollegen konnte er nicht unterbrechen, das war Viktoria aber mittlerweile egal gewesen. Sie wartete bis sie sah, dass sich auch bei ihm etwas geregt hatte und griff ihn dann beherzt in den Schritt. Es hatte sich so gut und heiß angefühlt, nicht einmal ihre Vorhänge hatte sie zugemacht. Der Nachbar im Haus gegenüber war doch ohnehin ein Schichtarbeiter, bestimmt war niemand da.

David hatte sich nicht gewehrt, aber sein Blick war flehentlich, dass der Kollege am anderen Ende nichts mitbekam. Still, aber dafür umso bestimmter, hatte Viktoria ihm die Hose geöffnet. Sie hatte ihren Mann tief in die Augen geschaut, als sie begonnen hatte, seine Erektion zu massieren. Glücklicherweise fand auch seine freie Hand die richtige Stelle bei Viktoria. Wie gut und verboten hatte sich das Vorspiel angefühlt. Eine Woge der Lust hatte sie ergriffen und all ihre Selbstzweifel oder ihre Hemmungen hatte sie da einmal über Bord geworfen. Sie fühlte sich sexy und wohl mit ihren Kurven. Endlich waren da auch wieder Schmetterlinge im Bauch und eine echte Gänsehaut. David hatte Mühe, das Gespräch vernünftig fortzuführen. Immer wieder verlor er den Faden, schluckte und einmal schaffte sie es sogar, dass er nicht anders konnte, als aufzustöhnen.

Wortlos gab sie ihm zu verstehen, dass sie nun seine Sekretärin sei und lehnte sich frivol über ihren eigenen Schreibtisch. Es war so verboten, aufregend und intensiv. Erst recht als sie seine Erregung an ihren Pobacken spürte und David mitten im Telefonat ihre Beine auseinanderzog. Doch als er zu lange brauchte, war ihre Hand nach hinten gegangen und mit einem kräftigen Ruck an seiner Krawatte zog sie ihn an sich. Dann hatte David aufgelegt, es wäre auch gar nicht anders gegangen. Alles, was sich in ihr angestaut hatte, brach nun aus ihr heraus. Als der Orgasmus ihren Körper wie ein Blitz durchschlug und sie für fast eine Minute erfasste, musste sie sich regelrecht an die Tischplatte klammern.

Es hätte alles perfekt sein können. Erschöpft hatte David danach wieder zu Handy gegriffen und das, obwohl Viktoria ihm unmissverständlich klargemacht hatte, dass sie nicht nur Sex, sondern auch Zuneigung und Nähe brauchte. Es hatte sie aufgewühlt und die erotischen Fantasien waren schnell wieder gekommen und ließen sie nicht mehr los. All das wäre nicht so schlimm gewesen, doch in den letzten Tagen waren ihre Fantasien weitergegangen und nun startete ihr Gedanken-Karussell auch bei fremden Männern. Glücklicherweise nur im Fernsehen, doch wo sich David so rar machte, war er nicht mehr der Einzige, um den sich Viktorias Gedanken drehten.

Ebenfalls drehte sich immer noch das Rad des Windows-Updates. Viktoria stand auf und setzte sich auf ihren Lesesessel am Fenster. Hier hatte man ein schönes angenehmes Tageslicht und auch die Aussicht wäre gut gewesen, hätte man die Häuser nicht so nah aneinander gestellt. Sie konnte problemlos in das Schlafzimmer ihres Nachbarn sehen und als ihr Blick umherschweifte, blieb er auch genau dort hängen. Die Jalousie war nicht heruntergelassen, die Vorhänge nicht zugezogen. Viktoria konnte alles sehen und was sie sah, fesselte sie förmlich.

Nackt und leicht vom Schlaf gezeichnet, lag ihr Nachbar da im Bett. Eine Hand hielt sein Handy, die andere hob und senkte sich an seiner Erektion. Viktoria schluckte und dennoch konnte sie sich nicht abwenden. Neugier und Sehnsucht bauten sich in ihr so schnell und unvermittelt auf, dass alle Gedanken an die Vernunft unterdrückt wurden. Offensichtlich hatte er sie nicht bemerkt, vielleicht ahnte er nicht einmal, dass er beobachtet werden konnte. Sie hatte ihn bisher gar nicht wirklich wahrgenommen, da er meist nur nachts arbeitete und die Wochenenden wohl mit seinen Hobbys verbrachte.

Sein Garten war wild und verwuchert, umso gepflegter sah er aber aus und Viktorias Blick fixierte sich förmlich auf seinen Schwanz und wie er ihn massierte. Er ließ sich Zeit und offensichtlich genoss er es genauso. Viktoria hörte einen Startton von ihrem Computer, aber sie bewegte sich nicht weg. Es erregte sie, was sie sah, das gestand sie sich auch schnell ein. Er war nicht besser bestückt als David, aber die Art, wie er mit sich umging und die Ästhetik seiner Selbstbefriedigung verursachten wilde Gedanken im Kopf von Viktoria. Ihr Mund wurde trocken, sie schluckte und wie von allein spürte sie ihre Hände auf ihrem Körper. Ein verbotenes Gefühl machte sich in ihr breit und es fühlte sich nicht nach Reue an, sondern nach Versuchung.

Plötzlich kam es ihm, Viktoria schreckte kurz ein paar Zentimeter hoch und verfolgte wie gebannt seinen Höhepunkt. Mit pochendem Herzen stand sie auf und zwang sich zurück auf ihren Schreibtischstuhl. Und in ihrem Kopf spukte nur ein Gedanke. Morgen würde sie wieder schauen und morgen würde sie sich dabei anfassen…

Manche Dinge rauben einem den Schlaf. Fast die ganze Nacht lag Viktoria neben David wach und versuchte das, was sie gesehen hatte, einzuordnen. Eigentlich war doch nichts dabei, sie hatte nur durch Zufall ihren Nachbarn dabei gesehen, wie er Spaß hatte. Aber auch ihr hatte es gefallen. Sie hatte zugeschaut und sie hatte selbst Gefallen daran gefunden. Ein echtes Versehen war das doch nicht, oder? Viktoria starrte die Decke an und sie hörte das tiefe und ruhige Atmen von David. Er war noch später nach Hause gekommen. Da war keine Gelegenheit mehr gewesen, diese Sache auszuräumen.

Es war schon immer eine Bewältigungsstrategie für Viktoria gewesen, leichte Unsicherheiten und Konflikte im Bett zu lösen. So endete auch jeder Streit zwischen den beiden, obwohl damit nicht immer alles ausgeräumt werden konnte. Als ihr ehemaliger Chef Avancen machte und Viktoria mehr als Schmeichelei empfand, ließ sie David so lange nicht mehr aus dem Bett, bis sie die Gedanken an ihren Chef vergessen hatte. Erst in den frühen Morgenstunden fand sie etwas Schlaf und verpasste somit David erneut, der sich zeitig aus dem Bett stahl, um auf die Arbeit zu gehen.

Übermüdet und immer noch verwirrt, machte sich Viktoria an die Arbeit. Immerhin hielt sie ihr Computer nicht mehr mit Updates auf und tatsächlich vertrieben zwei Online-Meetings und ein sehr langes Gespräch mit dem Bereichsleiter für Nordeuropa die Erinnerungen an den gestrigen Tag. Fast wäre sie der mysteriösen Anziehung entgangen, hätten die Jalousien auf der anderen Seite nicht so einen Krach gemacht. Gegen Mittag war der geheimnisvolle Nachbar wohl aus seinem Schlaf nach der Nachtschicht aufgewacht und aus den Augenwinkeln konnte Viktoria sehen, wie er sich mit einem Kaffee wieder auf das Bett setzte.

Offensichtlich war er ein Morgenmuffel, aber würde er sich wieder unbeobachtet fühlen und es sich machen? Wieder kurbelte all das Viktorias Gedanken an und es ließ sie nicht mehr los. Die aufgestaute Erregung in ihr wurde immer größer. Sie änderte ihren Status in beschäftigt und ging ins Schlafzimmer. Sie zog sich aus und betrachtete sich im Spiegel. David gefielen ihre Kurven und die große Oberweite. Aber vielleicht war sie gar nicht sein Typ. Vielleicht stand der fremde Nachbar gar nicht auf sie. Wieso machte sie sich überhaupt solche Gedanken?

Viktoria warf sich ihren seidigen Schlafmantel über und ging zurück in ihr Büro. Auf ihrem Lesesessel lag sie wie auf dem Silbertablett. Sie schnappte sich ein Buch und tat so, als würde sie dem 17. Kapitel ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Bekam er es mit? Würde er verstohlene Blicke auf sie werfen, so wie er bei ihr? Immer wieder schenkte sie ihm einen verstohlenen Blick, und sie merkte, er ließ seinen Blick genauso schweifen. Eine Welle der Erregung und Erwartung erfasste Viktoria, die nun große Lust bekam, mit dem Feuer zu spielen. Was würde er wohl machen, wenn sie den Mantel etwas aufzog, sie mehr zeigte und seine Neugier noch verstärkte? Sie tat so, als würde sie ihn nicht sehen; sie blätterte im Buch um, ohne ein einziges Wort auf der Seite gelesen zu haben.

Vorsichtig zog sie den Stoff zur Seite und spürte die schwachen Sonnenstrahlen auf ihrer nackten Brust. Was für ein Nervenkitzel – wagte Viktoria einen flüchtigen Blick aus dem Augenwinkel und merkte, dass er sich aufgesetzt und seinen Blick auf sie gerichtet hatte. Dachte er, sie würde es nicht bemerken? Fühlte er sich so sicher? Sie machte weiter, stellte das Buch auf die Lehne und zog den Stoff immer weiter von ihrer Haut. Gänsehaut breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus und als sie bei einem Augenaufschlag sah, dass er seine Hose heruntergezogen hatte, durchfuhr sie ein regelrechter Schlag der Erregung.

Er begehrte sie, ja, ganz eindeutig. Sie sah wie er seine Hand hoch und runterbewegte und diesmal nicht auf sein Handy starrte, sondern nur auf sie. So verboten und voller Sünde und doch konnte Viktoria nicht anders. Sie lenkte ihre Finger über ihren Körper und wanderte nach Süden. Wie eine elektrische Ladung durchfuhr sie es, als sie ihren Kitzler berührte. Ihr Mund war trocken, sie keuchte auf und jetzt trafen sich erstmals ihre Blicke. Er schaute sie an, sie löste den Blick nicht mehr von ihm. Ein breites und zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und demonstrativ machte er es am Fenster vor ihr.

Was tat Viktoria da? Wieso ließ sie sich darauf ein? Aber alle vernünftigen Fragen liefen in ihr ins Leere. Sie streichelte sich und beobachtete ihn und stöhnte auf. Es war, als würde sich all das, was sie die letzten Tage und Wochen beschäftigt haben, jetzt aus ihr herausbrechen. Zwei Finger tauchte sie in sich und dachte dabei nicht an David, sondern nur an ihn. Auch ihm schien es zu gefallen. Sein Glied zuckte und er biss sich offenbar auf die Lippen. Scheinbar verlor auch er die Selbstbeherrschung. Zu spät stoppte er sich und verzierte sein schwarzes Shirt mit seinen eigenen Samen. Viktoria brachte das um den Verstand. Sie musste sich mit ihrer freien Hand in die Lehne krallen und es durchschlug sie ein intensiver Höhepunkt. Bebend bäumte sie sich im Sessel auf und fiel dann wieder zurück.

Sie schloss die Augen und spürte das Adrenalin des Nervenkitzels durch ihre Adern schlagen. Erst nach einer Minute öffnete sie wieder die Augen und blickte hoch. Zur Überraschung hielt ihr der fremde Nachbar einen Zettel an die Scheibe.


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